Volkmar Klein: „Entwicklungspolitik ist auch sicherheitspolitische Vorsorge.”

Die drastischen Kürzungen im Bundeshaushalt sowie die aufgeheizte Debatte über die Wirksamkeit von Entwicklungspolitik sind besorgniserregend. Im Interview mit VENRO erklärt Volkmar Klein, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, warum Entwicklungspolitik sinnvoll ist. Mit Blick auf die Entwicklungsausgaben fordert er, sich von der Fixierung auf Prozentvorgaben zu trennen.

Herr Klein, wir erleben zurzeit eine aufgeheizte öffentliche Debatte rund um die Wirksamkeit der deutschen Entwicklungspolitik. Finanzminister Christian Lindner schlägt vor, die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit weiterhin stark zu kürzen. Damit würde das Entwicklungsministerium (BMZ) in dieser Legislaturperiode rund 3,5 Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben als zum Ende der letzten Regierung – ein Minus von 25 Prozent. Kaum ein anderes Ressort wird so stark zusammengestrichen. Gleichzeitig steigen die Bedarfe weltweit und es gilt, komplexe globale Herausforderungen zu bewältigen. Hat sich die Bedeutung der Entwicklungspolitik nach dem russischen Angriff auf die Ukraine grundsätzlich verändert?

Entwicklungspolitik ist auch sicherheitspolitische Vorsorge. Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wird diese Erkenntnis noch einmal sehr deutlich. In unserer globalisierten Welt können wir nicht sicher leben, wenn in anderen Ländern und Regionen Krisen und Konflikte herrschen.

Fluchtbewegungen betreffen auch uns. Das gilt ebenso für den globalen Klimawandel oder das Artensterben. Es ist Aufgabe der Entwicklungspolitik, zu Verhältnissen beizutragen, in denen die Menschen gut und sicher leben können und in denen wir die natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten bewahren. Neu in diesem Ausmaß ist allerdings, dass in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ein befreundetes Land Opfer eines Angriffs wird. Das zwingt uns dazu, erhebliche Mittel für dieses Land aufzuwenden. Dieses Engagement unterstütze ich ausdrücklich. Dies geschieht jedoch bei einem gleichzeitig schrumpfenden Entwicklungshaushalt. Unter dem Strich bedeutet das, dass für andere Länder und andere Probleme deutlich weniger Geld zur Verfügung steht.

Hier muss die Ampel-Koalition sorgfältig abwägen, ob sie die von Kanzler Scholz propagierte Zeitenwende ernst nimmt oder ob diese lediglich ein Lippenbekenntnis bleibt. Es rächt sich jetzt zudem auch, dass die Ampel-Regierung mit ihrer Politik das Wirtschaftswachstum in Deutschland schwächt und somit weniger Steuereinnahmen zur Verfügung stehen.

Immer wieder tauchen in der Debatte derzeit die Fahrradwege in Peru auf – oft belächelt als negatives Beispiel für ein Projekt im globalen Süden. Selbst der Finanzminister berief sich kürzlich darauf. Warum fällt die Kommunikation über die Bedeutung solcher Projekte so schwer?

Es ist leider immer leichter, Entwicklungsprojekte mit wenigen Schlagworten zu verhetzen, als sich der Mühe zu unterziehen, genau zu prüfen, welchen Sinn und Zweck jedes der zahlreichen Projekte hat. Leider kann trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass es zu Mittelfehlverwendungen kommt. Auch kann man trefflich über den Sinn und Unsinn einiger Projekte streiten. Doch für die große Mehrheit der Projekte gilt: Sie helfen, sie machen Sinn, sie sind gut begründbar – auch die Radwege in Peru. Mit diesem Projekt wird in der extrem dicht bevölkerten 10 Millionen-Hauptstadt Lima eine umweltfreundliche Alternative zum Straßenbau und zum Autoverkehr geschaffen. Noch ein Hinweis: Kein anderes Politikfeld in Deutschland wird so intensiv geprüft und evaluiert wie die Entwicklungspolitik, gerade weil sie unter besonderer Beobachtung steht und deutsche Steuergelder hier nicht unmittelbar für deutsche Steuerzahler ausgegeben werden.

Wie erklären Sie den Menschen in Deutschland, warum Deutschland Entwicklungspolitik macht?

Werte und Interessen kommen hier als Motivation und Begründung zusammen. Aus der christlich geprägten Überzeugung von der gleichen Würde aller Menschen entspringt unsere ethische Verpflichtung, zur Linderung der Not gerade in den ärmsten Ländern der Welt beizutragen. Erfolgreiche Entwicklungspartnerschaften sind dabei aber auch in unserem eigenen Interesse, etwa wenn es um Friedenssicherung, Konfliktvorbeugung und -lösungen, Gefahrenabwehr, um die Verringerung von Fluchtursachen oder den globalen Klima- und Gesundheitsschutz geht.  Solche und andere globale Herausforderungen lassen sich meist wirksam nur durch internationale Zusammenarbeit bewältigen. Entwicklungszusammenarbeit unterstützt grundsätzlich auch den Aufbau politischer internationaler Partnerschaften.

Wir leben in Zeiten einer wachsenden Systemkonkurrenz mit Ländern wie China oder auch mit Russland. Deshalb sind solche Partnerschaften wichtig, um auch damit für unser liberales und offenes Weltbild zu werben. Nicht zuletzt soll Entwicklungszusammenarbeit die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verbessern. Häufig dienen entwicklungspolitische Projekte als Türöffner für die deutsche Wirtschaft. Wachstum und mehr Wohlstand in den Partnerländern unserer Entwicklungszusammenarbeit kann durch Handel auch zu mehr Wohlstand bei uns in Deutschland führen.

Auf seiner letzten Pressekonferenz hat der ehemalige Entwicklungsminister Gerd Müller gefordert, Deutschland solle 1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Entwicklungsausgaben aufwenden, weil seit der Verabschiedung des 0,7 Prozent-Ziels immer neue Herausforderungen hinzugekommen sind – etwa die Klimakrise. Welche Höhe halten Sie für angemessen?

Entwicklungszusammenarbeit ohne Geld wird nicht funktionieren. Aber wir müssen uns von der Fixierung auf doch recht willkürliche Prozentvorgaben lösen. Entscheidend ist, dass wir die knappen Mittel – und Steuergelder wird es nie genug geben – möglichst wirksam einsetzen. In diesem Zusammenhang kann ich niemanden erklären, dass die Ampel-Regierung ausgerechnet bei den Haushaltstiteln im BMZ-Etat kürzt, die dazu dienen, privatwirtschaftliches Engagement zu mobilisieren. Allen ist bewusst, dass wir die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen nicht allein mit staatlichen Geldern erreichen können. Ohne das Engagement der Privatwirtschaft und ohne den Einsatz privaten Kapitals werden viele Millionen Menschen weiter in Armut leben. Angesichts dieser unumstrittenen Erkenntnis kürzt Bundesministerin Schulze aber ausgerechnet überproportional beim Titel Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft, die private Investitionen anreizen soll. Es ist wirklich paradox, wenn Ministerin Schulze über einen sinkenden Haushalt und Unterfinanzierung klagt und gleichzeitig nicht die gegebenen Möglichkeiten ausschöpft, private Mittel für entwicklungspolitische Zielsetzungen zu hebeln.